das material Sprache
Sprache ist das Material von Literatur in Lautform und sprachlicher Gestalt, das als strukturiertes System kultureller Bedeutungen, sozialer Normen
und individueller Vorstellungsbilder wahrgenommen wird. Die Bedeutung dieser beiden Existenzformen von Sprache hat sich im Lauf der Geschichte gewandet. Im Barock, im Manierismus, in der
konkreten Poesie und in der Avantgarde dominierte die Grafik. An anderer Stelle, z. B. in der Prosa, dient die Sprachgrafik vorrangig dazu, die Intonation zu fixieren. Auch bei stiller Lektüre
ist die syntaktische Anordnung des Textes intonatorisch aktiv.
Sprache ist verhältnismäßig unabhängig. Sie spricht nicht einen bestimmten Sinn direkt an, sondern appelliert indirekt an alle Sinne. Die Laute und Schriftzeichen, die sich als Sprache formieren, sind Gegenstücke des Bewusstseins von im Text dargestellten Gegenständen, des Denkens über und der systematisierten Vorstellung von diesen Dingen als Ergebnis der Rezeptionsarbeit des Lesers/der Leserin.
Im Wortkunstwerk liegt der Fokus auf der Struktur des Zeichensystems. Er bildet die Basis für den Sinn des Werkes, für seine künstlerische Bedeutung. Das mittels Sprache Bezeichnende und das von ihr Bezeichnete gehören hier untrennbar zusammen.
ästhetische Funktion schafft bedeutung in der künstlerischen Struktur eines literarischen Werkes
Indem Bezeichnetes zu Bezeichnendem wird, setzt die ästhetische Funktion Energien frei, die Bedeutung herstellen. So wird eine literarische Figur
durch sprachliche Gestaltung zur Bezeichneten und auf anderer Ebene zur Bezeichnenden für den Gesamtsinn eines Kunstwerks. Das gilt für jeden Konstituierungsprozess und jeden thematischen,
metaphorischen, allegorischen und symbolischen Deutungsversuch eines ästhetischen Objekts.
Das Artefakt ist materieller Natur, während das ästhetische Objekt einer Hierarchie aktiver und passiver Bezeichnung (Bezeichnetes und
Bezeichnendes) folgt. Zwischen den literarischen Text (das Artefakt) und die Rezeption seines Sinns tritt die bildhafte Vorstellung des
Lesers/der Leserin. Die Darstellung von Gegenständlichem transformiert somit im Wahrnehmungsprozess zum künstlerisch bedeutsamen Gegenstand. Der Bedeutungskomplex wird in der bewussten
Wahrnehmung konkret.
Die ästhetische Funktion ist während dessen stets zugegen und hat initiativen Charakter, das heißt sie appelliert an das individuelle Wertesystem des Rezipienten/der Rezipientin, das eingebettet ist in dessen/deren soziokulturellen und ideologischen Kontext. Die Wirkung ist jedoch nur potenziell vorhanden, ebenso wie der Sinn, der dem Artefakt zugeschrieben wird. So wurde z. B. die neoavantgardistische Kunst ausgerechnet von jenen Kulturinstitutionen gefördert, gegen die sich ihre Kritik ursprünglich richtete.
In der Betrachtung der Beziehung von Artefakt und ästhetischem Objekt sowie der jeweiligen ästhetischen Funktion ist bei jeder Kunstform die Relation der Welt außerhalb des Kunstwerks zur Welt des Kunstwerks wichtig. Darüber hinaus muss das Verhältnis des Gesamtsinns eines literarischen Werkes zum Gesamtzusammenhang des vorgefundenen soziokulturellen Wertesystems beachtet werden.
© Katja Tropoja
Quellenangaben / weiterführende Lektüre:
J. Lotmann: Die Struktur des künstlerischen Textes, Frankfurt a. M. 1973
R. Jakobson: Form und Sinn, München 1974
P. V. Zima: Kritik der Literatursoziologie, Frankfurt a. M. 1978
M. Cervenka: Der Bedeutungsaufbau des literarischen Wortes, München 1978.
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