© Katja Tropoja
Über allen Werten stehen die Ideen
Der Platonschen Ideenlehre folgend, liefern uns die Ideen den Inhalt unseres Lebens, innerhalb unserer individuellen Wertewelt und Wirklichkeit. Das umfasst alles, wofür wir einen Begriff suchen
und finden können, dem wir einen Namen geben können und was irgendeine Art von Qualität hat.
Das Hauptmerkmal unserer ideenhaften Vorstellungen ist dabei die Subjektivität, denn indem wir bewerten, urteilen wir stets subjektiv über ein bestimmtes Attribut einer Sache und deren Bedeutung
für uns. Ohne Begriffe gibt es keine Ideen und ohne Ideen keine Werte. Quantität und Qualität von Werten und deren Veränderung verleihen dem Leben Tiefe und bestimmen dessen subjektiv empfundenes
Tempo.
Die Begehrtheit bedingt den Wert als metaphysische Kategorie
„Indem wir begehren, was wir noch nicht haben und genießen, tritt dessen Inhalt uns gegenüber. (…) Der Inhalt wird Gegenstand, sobald er uns entgegensteht, (…) in der Distanz des Nochnichtgenießens, deren subjektive Seite das Begehren ist.“, schreibt Georg Simmel 1900 in einem seiner Hauptwerke „Die Philosophie des Geldes“. Das Begehren sei die erste Stufe der Annäherung, die erste ideelle Beziehung zu ihm. Mit der Distanz wachse die Annäherung.
Ob uns eine Sache begehrensWERT erscheint, hängt nicht allein davon ab, ob sie brauchbar ist und SeltenheitsWERT besitzt, sondern in erster Linie von den Gefühlen, die sie in uns auslöst. Emotionen bestimmen unser Denken und Handeln. Aber sind sie tatsächlich notwendig, um einer Sache Sinn zu verleihen?
Nicht das Objekt an sich löst unmittelbar einen wie auch immer gestalteten Affekt bei uns aus, sondern seine Bedeutsamkeit für uns, seine Seltenheit, seine Ersetzbarkeit, die Schwierigkeiten und Hindernisse, die zu seiner Erlangung überwunden werden müssen, seine (räumliche) Entfernung von uns, die Geduld, die wir aufbringen müssen oder die Option, etwas endgültig zu verlieren, ganz darauf verzichten und aufgeben zu müssen und letztendlich enttäuscht zu scheitern. Das Objekt an sich hat zunächst gar keinen Wert. Bedeutung hat erst, was von Unsicherheit des Fortbestands und der Erreichbarkeit gekennzeichnet ist.
Wir konsumieren den Wert eines Objektes im Zustand dessen Genusses, mit Überwindung aller Hindernisse, die uns von ihm trennten. Neu entstehen kann er erst mit der Distanz.
Werte stehen außerhalb des Dualismus von Subjekt und Objekt und sie sind nicht darauf angewiesen, anerkannt zu sein, sie sind metaphysischer Natur, denn:
Auch wenn ein Wert keine Anerkennung erfährt, büßt er damit nichts von seinem Wesen ein!
Die Seele wohnt in unserer individuellen Wertewelt
Wenn wir ein Objekt gegen ein anderes eintauschen, haben wir die unmittelbarste und direkteste Verbindung zur Welt der Werte. Wir setzen einen Wert ein, um einen anderen zu erhalten, verzichten auf etwas, um im Gegenzug zu erhalten, was wir als gleich- oder höherwertig ansehen. Im Tausch erkennen wir am deutlichsten, was uns und anderen Menschen wichtig ist. So schaffen wir Klarheit, Übereinstimmung und Verständigung in der Kommunikation in allen Lebensbereichen, nicht nur in der Ökonomie:
„Die Wirtschaft leitet den Strom der Wertungen durch die Form des Tausches hindurch, gleichsam ein Zwischenreich schaffend zwischen den Begehrungen, aus denen alle Bewegung der Menschenwelt quillt, und der Befriedigung des Genusses, in der sie mündet.“
(Georg Simmel in: „Die Philosophie des Geldes“).
Außerhalb dieser Tauschhandlungen bleiben unsere Werte mehr oder weniger unkonkret und abstrakt, obwohl sie uns während unseres ganzen Lebens begleiten. Oftmals ohne es bewusst wahrzunehmen, stellen wir permanent irgend etwas mit ihnen an: Wir wiegen sie gegeneinander auf, erstellen eine Rangliste, drängen sie anderen Menschen auf. Wir errichten ein Gebäude aus Werten, in dem wir uns zuhause fühlen dürfen. Schließlich zeichnen wir mit Wertvorstellungen unser buntes Bild von der Welt. Dabei machen Kontrast und Vielfalt unsere Wertewelt komplett: Der Wechsel in der Wertigkeit, aber auch die Beständigkeit in dem, was wir gewohnt sind und was uns vertraut ist.
Begreifbarkeit statt Greifbarkeit
Erst in der Selbstgenügsamkeit, im Zurückziehen in uns selbst, schaffen wir eine Verbindung zu den Dingen. Nur aus dieser Verbindung heraus können wir von ihnen abrücken und uns distanzieren. Das Uneinssein mit ihnen und das Nicht-Besitzergreifen müssen wir akzeptieren, denn ohne Distanz haben wir keinen Überblick, ohne Verallgemeinerung erkennen wir nicht die Details. Nur aus der Entfernung heraus kann uns das, was sich uns aus der Nähe heraus betrachtet diffus begehrenswert, merkwürdig bedeutsam, unruhig und ungeordnet präsentiert, nicht mehr den Blick verklären. Diese - oft schmerzhafte - Distanz schafft jedoch den Raum, in dem beständige Werte entstehen können. In dieser Welt konsumieren wir nicht, müssen nicht besitzen, um uns vollständig zu fühlen. Nur weil wir uns selbst genügen, verlieren Objekte nicht an Wert, sondern im Gegenteil: In dieser Wertewelt finden wir vollendete Sinnhaftigkeit und die Fähigkeit zu umfassender Erkenntnis aller Wertzusammenhänge.
© Katja Tropoja
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